Secure electricity supply and blackout prevention in Austria |
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Allhutter, Doris; Bettin, Steffen; Brunner, Helfried.; Kleinferchner, Julia; Krieger-Lamina, Jaro et al. [..] (2022) Sichere Stromversorgung und Blackout-Vorsorge in Österreich. Entwicklungen, Risiken und mögliche Schutzmaßnahmen (Endbericht). Bericht-Nr. ITA-AIT-17; Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) und AIT Austrian Institute of Technology: Wien; im Auftrag von: Österreichische Parlamentsdirektion. |
Die Überblicksstudie „Sichere Stromversorgung und Blackout-Vorsorge in Österreich: Entwicklungen, Risiken und mögliche Schutzmaßnahmen“ wird durch diesen Endbericht abgeschlossen. Die Studie wurde vom Österreichischen Parlament mit einer Laufzeit von Juni 2021 bis Jänner 2022 in Auftrag gegeben. Das Projekt wurde von der ARGE ITA-AIT PARLAMENT, intern federführend durch das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, durchgeführt. Die Studie beruht auf Dokumenten- und Literaturstudium, Interviews mit einschlägigen Fachleuten und einem Expert*innen-Workshop. Der steigende Energieverbrauch und die Energiewende bringen strukturelle Veränderungen im Stromversorgungsnetz und eine Erhöhung der Komplexität des Energiesektors mit sich. Das Stromnetz als komplexes soziotechnisches System ist als kritische Infrastruktur von zentraler Bedeutung für die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Zuverlässigkeit der Stromversorgung ist in Österreich seit Jahrzehnten auf einem konstant hohen Niveau. Dennoch wird es in Zukunft eine Reihe von Herausforderungen geben, um die Versorgungssicherheit auch weiterhin zu gewährleisten. Aufgrund der anstehenden Veränderungen gewinnt das Thema Blackout, also die Sorge vor einem großflächigen Ausfall des Stromversorgungsnetzes über einen längeren Zeitraum, an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund behandelt dieser Bericht zentrale Fragen der Sicherheit der Energieversorgung im Rahmen der Energiewende. Das Ende Juli 2021 in Kraft getretene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzespaket (EAGPaket) legt eine weitreichende Dekarbonisierung der Stromversorgung in Österreich fest. Es schafft die Grundlage für eine weitgehende Umstellung der nationalen Stromversorgung auf regenerative Quellen und leitet damit auch einen langfristigen und umfassenden Umbau der gesamten Energieversorgung ein. Gegenstand dieser Übersichtsstudie ist es, die Zusammenhänge zwischen der Gefahr eines Blackouts und der Versorgungssicherheit im österreichischen Stromnetz zu beleuchten. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie eine hohe Versorgungsicherheit auch weiterhin gewährleistet werden kann. Auf Basis einer Aufarbeitung des aktuellen Wissenstandes zu Blackouts identifiziert der Bericht zentrale Herausforderungen und zukünftige Handlungsbedarfe im Sinne der Versorgungssicherheit. Als Blackout gilt ein unerwarteter und unvorhersehbarer Totalzusammenbruch des überregionalen Stromversorgungsnetzes für einen längeren Zeitraum. Ein solches Ereignis wird als sogenanntes HILP-Event (High Impact Low Probability) bezeichnet, also ein Ereignis mit hohem Schadenspotenzial, aber sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit. Im Falle eines Blackouts wäre allerdings mit einer Reihe gravierender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Folgen zu rechnen. Zu Ausfällen im Stromversorgungsnetz kann es aus unterschiedlichen Gründen, wie Naturkatastrophen, technischen oder menschlichen Ursachen kommen. Im technischen Sinn entspricht ein Blackout einer Großstörung, jedoch mit gravierenderem Schadensausmaß. Ein ausschlaggebender Faktor für eine Großstörung und ein Blackout-Ereignis ist die Betroffenheit des Übertragungsnetzes – jenes Netz aus Hochspannungsleitungen, das zur Übertragung von Strom über große Distanzen benötigt wird. Ein grundlegendes Problem bei Großstörungen sowie im Blackout-Fall liegt im Risiko von Kaskadeneffekten (Kettenreaktionen), die bei nicht mehr bewältigbarer Netzinstabilität zu größeren, überregionalen Ausfällen führen können. Befindet sich das Netz im Not-Zustand und die entsprechenden Schutzmaßnahmen (Abschaltungen, Inselbildung durch Auftrennung in Teilnetze, Lastabwurf) greifen trotzdem nicht mehr, geht das Netz unmittelbar in den Blackout-Zustand über. Dadurch wäre ein Netzwiederaufbau erforderlich. Seit Anfang der 1950er Jahre gab es keinen solchen Fall in Österreich. Abseits verstärkter medialer Aufmerksamkeit zur Thematik gibt es keine klaren Belege für ein steigendes Risiko. Ankündigungen von Blackout-Eintritten in definierten Zeiträumen beruhen nicht auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. Das widerspricht auch dieser Art von Risiko: Blackouts sind Ereignisse, deren Eintreten kaum vorhersehbar ist. Wesentlich relevanter erscheint es, sich eingehender mit der Bewältigung von Großstörungen zu befassen, weil hier klare Zusammenhänge bestehen. Das trägt zu einem sachlich fundierten, realistischen Umgang mit dem Thema Blackout bei. Von zentraler Bedeutung für die Versorgungssicherheit sind die vorherrschenden Betriebsbedingungen im Stromnetz. Das Stromnetz ist ein komplexes System, das durch wechselseitige Abhängigkeiten innerhalb und zwischen verschiedenen Komponenten des Netzverbundes geprägt ist. Diese beeinflussen die Vulnerabilität, also die Verwundbarkeit des Gesamtsystems. Ungünstige Bedingungen – durch Umwelteinflüsse, verstärktes Ungleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch und damit verbundene hohe Komponentenauslastungen und Frequenzschwankungen – können im Störfall problematisch werden und zu Kaskadeneffekten führen. Die Gewährleistung von stabilen, unkritischen Betriebsbedingungen im Stromnetz ist daher sowohl essentiell für eine sichere Stromversorgung, als auch für die Minimierung von Blackout-Risiken. Ein Schlüsselkriterium bei der Bewältigung von Großstörungen und Blackouts ist eine wirkungsvolle Gesamtkoordination der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSOE). Um die Versorgungssicherheit weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten, muss folgenden zukünftigen Herausforderungen vorgebeugt werden: Die globale Erderwärmung und die damit einhergehende Veränderung von Umweltbedingungen bringen nicht zu unterschätzende Herausforderungen für die Versorgungssicherheit mit sich. Mit der Wahrscheinlichkeit von Extremwetterphänomenen (extreme Hitze, Hochwasser, massive Unwetter, starke Stürme) und langfristigen Veränderungen im alpinen Bereich nimmt in Europa das Risiko von Stromausfällen zu. Auch der Verbrauch ist durch vermehrte Hitzeperioden wetterabhängig und es kann – insbesondere in benachbarten Regionen – zu Stromknappheit kommen, die im europäischen Übertragungsnetzverbund folgenreichere Effekte zeigt. Der Klimawandel kann insgesamt die Stabilität des Stromnetzes mittel- und längerfristig belasten und damit auch das Risiko von Kaskadeneffekten und Großstörungen erhöhen. Ein vorausschauendes, regelmäßiges Monitoring der Netzbedingungen unter Einbeziehung von sich verändernden Umweltbedingungen ist daher zentral. Der bestehende Austausch zwischen Netzbetreibern und Klimaexpert*innen sollte weiter intensiviert werden. Dabei sollen insbesondere Entwicklungen in den Blick genommen werden, die sich mittel- und längerfristig derart auf die Betriebsbedingungen auswirken, dass diese auch Effekte auf die Netzstabilität haben können. Die Digitalisierung bringt zahlreiche technische, soziale und strukturelle Veränderungen mit sich, die auch Auswirkungen auf das Stromnetz haben. Sie ist eng mit der Energiewende verbunden. Digitale Systeme im Stromnetz bringen viele Vorteile und versprechen Verbesserungen in den Bereichen Steuerung und Monitoring. Zugleich wächst der Energiebedarf mit der steigenden Menge an digitalen Geräten und Systemen, sowie mit neuartigen Phänomenen wie „Cryptomining“ und Handel mit Kryptowährungen. Durch die Digitalisierung des Stromnetzes selbst kommt es zu versteckten Abhängigkeiten und neuen potenziellen Schwachstellen. Sie trägt einerseits zur Verbesserung von Regelvorgängen etwa im Lastmanagement und beim laufenden Monitoring des Stromnetzes bei. Andererseits kann es durch eine Kombination von elektrotechnischen und digitalen und/oder vernetzten Systemen dazu kommen, dass IT-Sicherheitsprobleme ins Stromnetz übergreifen. Damit erhöht sich die Anfälligkeit für Fehler oder auch für gezielte Angriffe von außen. IT-Sicherheit bzw. Cybersecurity sollten bei der Digitalisierung des Stromnetzes daher stärkere Beachtung finden. Insbesondere gibt es einen steigenden Bedarf an Fachkräften, die Digitalisierung und Elektrotechnik stärker zusammenzudenken. IT-Sicherheit ist zukünftig eine Schlüsselkompetenz in der Stromwirtschaft. Eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre im Energiesektor ist die schrittweise Transformation der Energieversorgung zur Erreichung der nationalen Dekarbonisierungsziele. Im Stromsektor soll bis 2030 der Gesamtstromverbrauch bilanziell bis zu 100 % national aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Dieses ambitionierte Vorhaben bringt bereits erhebliche strukturelle Veränderungen im Stromnetz mit sich. Darüber hinaus sollen im Jahr 2040 alle wirtschaftlichen Sektoren in Österreich klimaneutral sein. Neben der Industrie werden weitere energieintensive Sektoren wie Mobilität und Wärmebereitstellung zunehmend elektrifiziert. Mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Erzeugungskapazitäten ist auch ein Aus- und Umbau in der Infrastruktur nötig, um diese entsprechend anzupassen bzw. zu erweitern. Im Bereich der Übertragungsnetze stehen die meisten der bereits heute geplanten Projekte in einem direkten Bezug zum Ausbau der Wind- und Solarenergie. Des Weiteren ist es sinnvoll, die bestehenden Bemühungen zur grenzübergreifenden Kooperation der Übertragungsnetzbetreiber, z. B. durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Regelenergiemarkt, weiter zu intensivieren. Die Verteilernetze müssen so weiterentwickelt werden, dass sie sich für die Integration einer sehr großen Anzahl dezentraler Erzeugungsanlagen eignen. Damit die Energiewende in die nächste Phase eintreten kann und nach dem Stromsektor auch weitere Sektoren dekarbonisiert und mit dem Stromsektor gekoppelt werden können, bedarf es jedoch weiterer Entwicklungen im Stromsystem. Durch Sektorenkopplung kann die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas vermieden und auf erneuerbaren Strom verlagert werden. Gleichzeitig lässt sich damit ein insgesamt wesentlich effizienteres Gesamtsystem mit einem signifikant geringerem Primärenergiebedarf realisieren. Aus Sicht des Stromsystems bedeutet Sektorenkopplung aber auch einen massiven zusätzlichen Verbrauch, der aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt werden muss. Zudem erhöht die zunehmende Integration unterschiedlicher Sektoren die technische und soziale Komplexität des Energiesystems, woraus ein institutioneller sowie rechtlicher Anpassungsbedarf für die beteiligten Akteure resultiert. Wenn in Zukunft der gesamte gesellschaftliche Energiebedarf aus regenerativen Quellen gedeckt werden soll, kommt der Elektrizität eine wesentliche Rolle zu. Für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ist es von zentraler Bedeutung, dass insbesondere in Zeiten hoher Nachfrage, wenn Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik nicht ausreichen, hinreichend steuerbare Kapazitäten zur Verfügung stehen. Die für Ausfallrisiken relevanten Betriebsbedingungen hängen künftig stärker als bisher von atmosphärischen Bedingungen wie Sonneneinstrahlung und Wind ab. Damit geht ein stärkerer Bedarf nach Reservekapazität einher, um auch bei abnehmender Produktion immer genügend Energie ins Netz einspeisen zu können und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Auch muss die Gefahr einer schleichend zunehmenden Störanfälligkeit analysiert werden. Den Herausforderungen durch Klimawandel, Digitalisierung und Energiewende sollen durch Vorsorgemaßnahmen zur Sicherung des Stromsystems sowie zur Erhöhung der Resilienz und der Verbesserung der Reaktionsoptionen im Krisenfall noch stärker begegnet werden. Von zentraler Bedeutung ist die zunehmende Volatilität (also Schwankungen) in der Stromversorgung. Damit Schwankungen weiterhin im Regelbetrieb ausgleichbar und das Risiko von Großstörungen und die damit verbundenen Versorgungsengpässe bewältigbar bleiben, braucht es Vorsorgemaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen, u. a.: • Evaluierung des Bedarfs nach Erhöhung von Regelleistung und Reservekapazitäten zum Schwankungsausgleich im Normalbetrieb
• Koordinierung des Ausbaus der Erzeugungsleistung aus Erneuerbaren Energieträgern und des Aus- und Umbaus des Stromnetzes (in Einklang mit Ausbauplan 2030) • Stärkere Beachtung auch langsam fortschreitender Umweltveränderungen im systematischen Monitoring der Strominfrastruktur unter Einbeziehung von Klimaexpert*innen
• Vorsorge vor zunehmender Abhängigkeit von Umweltbedingungen (wie Dunkelflautenproblematik) mit Einbindung von Flexibilitätslösungen wie Demand-Response, Demand-Side-Management sowie verschiedenen Speicherlösungen
• Klärung des Bedarfs für den Ausbau grenzüberschreitender Regelenergiemärkte und Analyse dazu zusätzlich erforderlichen Rahmenbedingungen Institutionell sind fachübergreifende Ausbildung, Wissensaustausch und Forschung von besonders zentraler Bedeutung. Hier braucht es u. a.:
• Ausbildung von Fachkräften mit kombinierter Elektrotechnik- und IT-Expertise, um den vorherrschenden Mangel auszugleichen und die Digitalisierung des Stromsektors sicher zu gestalten
• Stärkere wissenschaftliche Betrachtung der Versorgungssicherheit im systemischen Kontext
• Intensivierung des bestehenden Wissensaustausches zwischen Netzbetreibern und Klimaexpert*innen
• Stärkung der sozialwissenschaftlichen Forschung und des inter- und transdisziplinären Wissenstransfers zwischen Forschung und Akteuren des Energiesektors zur Verbesserung der Governance der Energiewende
Auf Basis des in dieser Studie zusammengetragenen Wissens kann festgestellt werden, dass das österreichische Stromsystem momentan weitgehend versorgungssicher ist. Das könnte sich freilich in den nächsten Jahren ändern, weil sich das ganze System an vielen Stellen zu ändern begonnen hat. Zur Bewältigung der Herausforderungen braucht es nicht zuletzt auch Interessensausgleich zwischen den verschiedenen Akteuren und Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, damit die notwendigen Veränderungen in der Energieinfrastruktur konstruktiv realisiert werden können. Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Politik, das Thema genau weiter zu beobachten und diesen fundamentalen Wandel moderierend und gestaltend zu begleiten.
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